Im Rhythmus von Wind und Wellen
Heute nimmt sich Asbjørn Zeit, um gemeinsam Smakkejolle zu segeln. Eine Smakkejolle ist ein zweimastiges offenes Segelboot mit Spriet-Takelage. Bei dieser Takelage ist das rechteckige Segel mit der Längsseite am Mastbaum befestigt. Ein zweiter Baum ist mit der offenen Ecke der oberen Schmalseite des Segels verbunden, wird in der Diagonalen des Segels nach unten geführt und dort in einer Seilöse am Mast eingehängt. Die Smakkejolle war das typische Arbeitsboot im südfünischen Inselmeer, diente dem Fischfang und dem Transport von Mensch, Tier und Waren zwischen den Inseln und dem „Festland“ (womit in dieser Region die großen Inseln Fünen, Langeland und Ærø bezeichnet werden). In Dänemark darf man Segelboote dieser Größe (und sogar noch größer) ohne Bootsführerschein auf dem offenen Meer bewegen.
Es herrscht eitel Sonnenschein mit mäßigem Wind aus Nordost. Asbjørn schlägt vor, nach Langeland überzusetzen und dort die Bucht Lindelse Nor zu durchfahren. Wir entrollen das Segel des vorderen Mastes und legen mit der Kraft des Windes ab. Asbjørn beordert mich an die Pinne, während er die Segel bedient. Zunächst segeln wir nordwärts an der Küste Strynøs entlang, um dann nach einer Halse diagonal Rudkøbing Løb zu queren, den Sund zwischen Strynø und Langeland, auf das Südende von Lindelse Nor zuhaltend, um den Wind optimal auszunutzen. Wir segeln hart am Wind, machen gut Fahrt, ein Windrad auf Langeland dient mir als Orientierungspunkt.
Sonne, Wind, Wellen, Gesellschaft – alles passt. Die Smakkejolle reagiert gut auf das Ruder, ist wendig, lässt sich einfach bedienen. Es macht viel Spaß, entfaltet tiefe Befriedigung, sich auf diese Art fortzubewegen, auf Wind und Wellen zu achten, zu spüren, wie die Jolle auf kleine Bewegungen der Ruderpinne reagiert, langsamer wird, wenn man etwas anluvt und Fahrt aufnimmt, sich zur Seite legt, wenn man abfallen lässt.
Um in die Bucht hinein zu kommen, müssen wir kreuzen. Und dabei auf ausgelegte Fischreusen achten, die durch Stangen mit aufgesetzten Fähnchen markiert sind. Asbjørn gibt das Signal, wenn Zeit für eine Halse ist, und so arbeiten wir uns Stück für Stück in die Bucht hinein. Beeindruckend, aus voller Fahrt in die Halse zu gehen, und dann die Jolle wieder so in den Wind zu richten, dass dieser wieder in die Segel greifen kann und wir erneut Fahrt aufnehmen.
Irgendwann sind wir tief in der Bucht und werfen in Ufernähe Anker. Wir vespern und das Gespräch dabei dreht sich hauptsächlich ums Inselleben, das wohltuende, entschleunigte Sein in guter Gemeinschaft, in einer immer unübersichtlicheren und schnelleren Welt einen lebenswerten Nahraum mit anderen gemeinsam zu gestalten, bewusst im Gegensatz zum konformistischen Mainstream unserer westlichen Leistungsgesellschaft, bei der das Zwischenmenschliche mehr und mehr auf der Strecke bleibt.
Auf dem Rückweg haben wir den Wind von achtern, eine Zeit lang können wir die Segel sogar in Butterfly-Position bringen. Dies ist allerdings schwer zu steuern, wie ich alsbald feststelle, immer wieder fängt ein Segel an zu flappen, weil doch nicht genug Wind hinein greifen kann, und es ist herausfordernd, die Jolle so auf Kurs zu halten, um das zu vermeiden. Je mehr wir uns Strynø nähern, desto mehr flaut der Wind ab. Und desto mehr spüren wir den Seegang. Die von steuerbord-achtern kommenden Wellen lassen die Smakkejolle ganz schöne tanzen. Langsam kriechen wir auf die Hafeneinfahrt zu. Entschleunigung im Rhythmus der Natur...
Strynø, 01/09/22