Life-Life-Balance in Klitmøller

Mal wieder hat es mich im Sommer 2019 nach Klitmøller gezogen, an der dänischen Nordseeküste in der Region Thy gelegen. Klitmøller trägt den Beinamen „Cold Hawaii“, weil es ähnlich gute Surfbedingungen vorweist wie auf Hawaii und jährlich Austragungsort von Suf-Weltcup-Veranstaltungen ist. 

Ich aber bin nicht zum Surfen hier, sondern habe mir einen Schreibtisch im Klitmøller Co-Work gebucht, um an meinem Buchprojekt zu meinem Sabbatjahr weiterzuarbeiten. Über Klitmøller Co-Work habe ich vor einiger Zeit im Norr-Skandinavienmagazin einen Artikel gelesen und es hat mich direkt angesprochen, dass sich Menschen auf Zeit einen Arbeitsort teilen, um an ihren jeweiligen Projekten zu arbeiten und dennoch nicht auf die Vorzüge von Gemeinschaft zu verzichten. Doch zunächst habe ich den Co-Working Space für mich alleine. Sommerzeit ist eben Ferienzeit, wohl auch bei selbständig arbeitenden Individualisten. Ich richte mich an einem Tisch unweit der Küchenzeile ein, wo ich genug Platz habe, um MacBook, meine diversen handschriftlichen Aufzeichnungen, Thermoskanne, Wasserflasche und Kekse auszubreiten, und lege los. 


Im Laufe der Tage begegne ich denn doch ein paar anderen Menschen im Co-Working Space und ab und an ergibt sich die Gelegenheit für einen kleinen Plausch. Es scheint schon so etwas wie eine Stammgruppe zu geben, die tatsächlich zwischen Kopenhagen und Klitmøller pendelt, um dort Arbeit mit ihrer Leidenschaft, dem Surfen, zu vereinen. Sie sitzen mittags zusammen und jeder steuert etwas zum Lunch bei. Eine schöne Form, als Selbständige*r nicht in seiner Arbeit zu vereinsamen. Arbeit wird so integraler Bestandteil von Leben. Mit keiner von ihnen müsste ich wohl über Work-Life-Balance diskutieren. Da gibt es keinen Widerspruch, nichts, was in irgendeiner Form gegeneinander aufgewogen und mühsam in Abgleich gebracht werden müsste. Die neue Zauberformel lautet „Life-Life-Balance“, denn beim Arbeiten leben wir auch, wenn es gut läuft, und für wirklich viele Menschen steht im Mittelpunkt, eine sinnvolle Tätigkeit zu machen, die sich in ihr Leben integrieren lässt, wie es Susanne Klein in ihrem Buch „Kein Mensch braucht Führung“ feststellt. 

Auch mir gelingt in Klitmøller eine wunderbare Life-Life-Balance. Vormittags ab acht besetze ich meinen Arbeitsplatz im Co-Working Space, nachdem ich mein Frühstück auf der Terrasse des an den Co-Working Space angeschlossenen Klitmøller Guest House eingenommen habe, wo ich mir für die Tage dort eine Kammer genommen habe. Mittags nutze ich die Zeit für Müßiggang und es treibt mich zum Meer hin: einfach nur sitzen und gucken, mal schwimmen, ein Schnupperkurs im Stand Up Paddeling, der irre Spaß und Lust auf mehr macht. Spätnachmittags hole ich wieder den Rechner hervor, dann jedoch platziere ich mich auf der Terrasse des Guesthouse mit wundervollem Blick über das träge dahin meandernde Flüsschen Klitmøller Å auf die Dünen und ein paar darin verteilte Ferienhäuschen. 

Noch um 22:30 Uhr ist es hell genug, um ohne künstliche Lichtquelle zu arbeiten. Jedoch nutze ich gern auch die Gelegenheit, um abends an den pittoresken, weiß getünchten Fischerschuppen mit ihren roten Türen und Fensterrahmen vorbei zu laufen und mich dort, wo die Küste einen Knick macht, auf die terrassenartig angelegten Stufen zu setzen. Mir gleich tun dies allabendlich viele Menschen. Allein, in Gruppen. Das kehlige Dänisch dringt an mein Ohr, viele haben ein Bier in der Hand. Die Sonne versinkt hinter dem Horizont über dem offenen Meer. Es gibt nichts, was in einem solchen Moment besser sein könnte. 


Sommer 2019